Bookdump 04/2021
Bücher, die ich in 2021 seit meinem letzten Bookdump gelesen habe:
- Das Paradies meines Nachbarn, Nava Ebrahimi. In 220 Seiten geht es anhand von drei Hauptfiguren und deren Familie um Migration, (Nicht)Opfersein, Schuld, Doppelmoral, eingebettet in die Geschichte des Golfkriegs zwischen Iran und Irak. Sprachlich beeindruckend, ohne jeglichem Pathos oder Kitsch.
- Bauer und Bobo, Florian Klenk. Sehr flüssig zu lesende 156 Seiten, die die wichtigen Themen Fleischindustrie, Klimakrise und Landwirtschaft anhand der Geschichte des “Wutbauers” Christian Bachler und des “Bobos” Florian Klenk erzählen. Schön gemacht und lesenswert.
- Das Buch Blam, Aleksandar Tišma. Diese 238 Seiten handeln vom Holocaust-Überlebenden Miroslav Blam und spielen in den 50er Jahren in Novi Sad. Es geht um um die Schmach der Überlebenden, erzählt in einer beeindruckenden Sprache. Die alte Rechtschreibung war ungewöhnlich zu lesen, und der Schriftsatz des Buches ist für mich leider nicht ansprechend, aber das Thema Deportationen, und die Geschichte der Juden und Serben sind literarisch in wunderbaren Episoden gestaltet. Danke für den Buchtipp, Anita.
- Die Anomalie, Hervé Le Tellier. Ein Flugzeug landet nach gut drei Monaten ein zweites Mal, der gleiche Flug mit den gleichen Personen an Bord. Das Ergebnis ist ein Doppelleben im wahrsten Sinne des Wortes. Unterhaltsame 345 Seiten, die zum Philosophieren einladen.
- Die Geister, die ich teilte, Fritz Jergitsch. Auf 215 Seiten gibt es vom Gründer der “Tagespresse” eine lesenswerte Analyse zum Thema Social Media.
- Kurz – ein Regime, Peter Pilz. Auf 233 Seiten gibt es einen guten Überblick und Einblick in die letzten Jahre der österreichischen Politik rund um die (neue) ÖVP.
- Radikalisierter Konservatismus, Natascha Strobl. Die 167 Seiten waren für mich leider nicht ganz so erhellend, wie ich es mir gewünscht hätte, auch wenn es insgesamt einen guten Einstieg in das Thema vermitteln dürfte. Speziell aber gegen Ende hin hatte ich den Eindruck, dass das Buch zu einer Deadline fertig werden muss.
- Die Epistemisierung des Politischen, Alexander Bogner. Das Buch beleuchtet unsere Wissensgesellschaft und ihre Konflikte (wie z.B. Impfdebatte, Corona- und Klimakrise, Verschwörungsideologien, Fake News), sowie den Umgang und die Abwicklung politischer Fragen. Leseempfehlung für diese 131 anregenden Seiten.
- GRM, Sibylle Berg. Was für ein unglaublich brutales Buch. Ich habe diesen dystopischen Roman nur stückweise verdauen können, und für die 634 Seiten in Summe mehr als ein halbes Jahr gebraucht.
- Wo sind wir hier eigentlich?, Stefan Apfl, Sebastian Loudon + Alexander Zach . Das österreichische Monatsmagazin DATUM hat 51 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst zu einem Stammtischgespräch eingeladen. Daraus entstand dieses 165 Seiten schlanke Buch, unterteilt in drei Akte (“Woher wir kommen”, “Wo wir stehen” und “Wohin wir gehen”). Ein nicht alltägliches Format, das zum Nachdenken und Diskutieren einlädt.
- Im Spiegelsaal, Liv Strömquist. Ein grafischer Roman (Graphic Novel) rund um Schönheitsempfinden und Schönheitswahn in 5 Kapiteln auf 168 Seiten, der Gesellschaftskritik mit geschichtlichem Hintergrundwissen in unterhaltsamer Form kombiniert. Störend fand ich das Fehlen von Seitenzahlen, was vermutlich beabsichtigt ist, den Austausch mit Lesepartner:innen aber dementsprechend erschwert.
- Gebrauchsanweisung für Barcelona, Merten Worthmann. Auf 153 Seiten gibt es einen Einblick in das Leben und die Kultur der Barceloneserinnen und Barceloneser. Die Konflikte der Katalanen werden ganz vorsichtig angeschnitten, ohne aber in die politische Dimension tiefer einzutauchen. Das ist wohl auch eine gute Zusammenfassung des Buches: unterhaltsam geschrieben, aber – zumindest für mich – mit überschaubarem Erkenntnisgewinn.
- Das Ereignis, Annie Ernaux. Was für ein wortgewaltiges Buch. In unglaublicher Offenheit schreibt die Autorin auf 104 Seiten von ihrer illegalen Abtreibung aus dem Jahr 1963. Schwere Kost, mit klarer Leseempfehlung.
- Plastikfreie Zone, Sandra Krautwaschl. Das Buch ist mir in einer Bücherbox (beim Generationenpark in Feldkirchen) aufgefallen, und ich konnte nicht widerstehen, das Buch temporär an mich zu nehmen. Die 296 Seiten waren schnell gelesen, und das Buch lädt ein, sich Gedanken über die eigene Umgebung und den Umgang mit Gegenständen zu machen. Meinen Blick auf Plastik hat das Buch geschärft.
- Lektüre zwischen den Jahren: Tage des Lesens, Gesine Dammel (Hg.). In Anlehnung an Marcel Proust’ Tage des Lesens, sind in diesem Buch auf 153 Seiten die Geschichten von 19 Autorinnen und Autoren gesammelt, die sich rund um Bücher und das Lesen drehen. Das Format des Buches – einerseits Kurzgeschichten, aber mit 14,8*9,5cm auch wunderbar klein und handlich – lädt dazu ein, es in der Jackentasche mit sich mit zu führen. Schöne Lektüre auch für Zwischendurch.
- Vom Ende der Einsamkeit, Benedict Wells. Nachdem ich auf Benedict Wells gestoßen bin und großen Gefallen an seinen Texten gefunden habe, musste ich mir ein weiteres Buch von ihm besorgen. Diese 357 Seiten – in denen es u.a. um Verlust und Einsamkeit geht – zeigen, was für ein großartiger Geschichtenerzähler Wells ist. Mehr davon.
- Meetings moderieren, Daniela Ettl. Das Buch gibt es aktuell noch(?) nicht im freien Handel und ich habe dieses 255 Seiten umfassende Buch als Ergänzung zu Danielas Workshops gelesen. Ich durfte einem solchen Workshop von Daniela beiwohnen, und kann ihre Workshops aufs Wärmste empfehlen.
- Projekt Lightspeed, Joe Miller mit Özlem Türeci und Uğur Şahin. Dieses 350 Seiten umfassende Buch ist hochaktuell, es behandelt den Zeitraum bis Juli 2021 und erschien im September 2021. Es gibt eine Vielzahl an Hintergrundgeschichten und Anekdoten, die ich in dieser Form noch nicht gehört habe, und man bekommt einen guten Eindruck davon, wie viele Faktoren aber auch Personen und Firmen zusammenspielen mussten, dass der BioNTech-Impfstoff den Markt erreichen konnte. Solch einen Einblick hinter die Kulissen würde ich mir auch für andere Medikamente und Impfstoffe wünschen, gerne auch aus einer Gegenperspektive. Klare Leseempfehlung für am Thema Interessierte.
- Frauenfragen, Mari Lang. Die Autorin stellte Männern Fragen wie “Wie schaffst du es, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen?”, die normalerweise Frauen in der Öffentlichkeit zu hören bekommen. 210 Seiten, die zum Nachdenken und Reflektieren einladen.
- Pandemien, Jörg Hacker. Diese 123 Seiten liefern einen guten Einstieg und Überblick zum Thema Pandemien, und der Untertitel “Corona und die neuen globalen Infektionskrankheiten” sowie das Erscheinungsjahr 2021 deuten auch die Aktualität des Buches an. Jörg Hacker ist Infektionsbiologe und war Präsident des Robert Koch-Instituts, und der medizinische Schwerpunkt kommt in stellenweiser Faktendichte immer wieder durch. Besonders die Abschnitte zu zoonotischen Erregern und One Health/Public Health/Global Health waren für mich lehrreich, aber auch sonst gab es einen guten Einstieg und Überblick in das Thema.
- Rolltreppe – oder die Herkunft der Dinge, Nicholson Baker. Auf dieses Buch bin ich über ein Interview von Klaus Nüchtern mit Clemens Setz im Falter 44/21 gestoßen, und ich kann nachvollziehen, warum Setz an diesen 221 Seiten über die ganz gewöhnlichen Gegenstände unseres Alltags Gefallen findet.
- The Arrival, Shaun Tan. Über die Folge des Podcasts Das Lesen der Anderen mit Clemens Setz bin ich auf dieses Buch gestoßen. Diese 128 Seiten kommen ausschließlich mit Zeichnungen aus, und es ist ein absolut un- und außergewöhnliches Buch.
- Der Osbick Vogel, Edward Gorey. Auch auf Edward Gorey bin ich wieder durch Clemens Setz gestoßen, und bevor ich das Original – siehe nächster Abschnitt – lesen konnte, durfte ich diese 15 Seiten schlanke und sehr gelungene Übersetzung von Clemens Setz genießen.
- Amphigorey too, Edward Gorey. Auf der Suche nach Edward Goreys “The Osbick Bird” im Original bin ich auf dieses Buch von 1975/1980 gestoßen, das auf 260 Seiten 20 Geschichten von Gorey versammelt. Der nicht-deutschsprachige Büchermarkt ist in Österreich abseits von Amazon leider nach wie vor schwer zugänglich, aber dieses Buch wurde von Archive.org digitalisiert und lässt sich unter online ausborgen und lesen.
- Briefe an mein jüngeres Ich, Herausgegeben von Jane Graham. Eine Vielzahl an Prominenten, besonders aber Schauspieler:innen und Musiker:innen und besonders englischsprachige haben einen Brief an sich selbst geschrieben, konkret an ihr 16-jähriges Ich und was sie sich heute sagen würden. Auffallend sind die unterschiedlichen Biographien, aber die sich dabei vielfach überlappenden Themen Alkohol und Drogen. Ein paar sympathische und anregende Briefe finden sich genauso darunter, wie auch egozentrische, eitle und klischeehafte Ausführungen. Die jeweils ca. 3-7 seitigen Briefe auf insgesamt 378 Seiten laden dazu ein, das Buch auch einfach mal zwischendurch zu lesen.
- Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot, Josef Winkler. Ich brauchte eine Weile um mich auf den Stil “einzugrooven” und finde die Form und den Stil über den Tod zu schreiben spannend. Die 125 Seiten waren für mich im Moment schwer einzuordnen – was mich vermuten lässt, dass ich noch mehr vom Autor lesen möchte.
- Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten, Sabine M. Gruber. Die Autorin, selbst Sängerin im Arnold Schönberg Chor, hat Aussprüche des österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt bei Orchesterproben über viele Jahre aufgezeichnet und auf diesen 114 Seiten veröffentlicht. Als jemand, der den Orchesterbetrieb auch von Innen kennt, konnte ich mir die Aussagen lebhaft vorstellen und musste an mehreren Stellen laut lachen. Harnoncourt erschafft wunderbare Sprachbilder, und an einigen wenigen Stellen gibt es auch lehrreiche Musikgeschichte.
- Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!, Patricia Cammarata. Auf 308 Seiten liefert die Autorin einen differenzierten Überblick über den Medien-Umgang mit Kindern. Besonders anregend fand ich die Ausführungen zu Claqueure vs. Verteidiger*innen, Nonpology (die Nicht-Entschuldigung), Grooming, Adultismus, Sharenting + Let’s Plays. Es gibt eine Vielzahl an Links zu Websites rund um das Thema (wie z.B. klicksafe.de, saferinternet.at, juuuport.de, mobilsicher.de, jugendschutz.net, spielbar.de, spieleratgeber-nrw.de, tagesschau.de/faktenfinder, correctiv.org, mimikama.at, hoaxmap.org, mediennutzungsvertrag.de, tiefdurchatmen.com + schau-hin.info). Auch wenn ich einige wenige Kleinigkeiten zu bemängeln habe (Signal wird z.B. ohne wirkliche Argumentation oder Begründung schlechter als iMessage gestellt, bei Sprachnachrichten wird nicht erwähnt, dass man typischerweise schneller liest als hört, das Buch hat einen reinen Deutschland-Bezug, z.B. fehlen leider die Rechtslage in Österreich bzw. der Schweiz), kann ich das Buch guten Gewissens allen Eltern als Orientierungshilfe im Mediendschungel empfehlen.
- Die drei Leben der Hannah Arendt, Ken Krimstein. Eine Graphic Novel mit 243 Seiten, die in Form einer Biographie das Leben Hannah Arendt näher bringt. Ein schöner Einstieg, allerdings eben auch nicht viel mehr – es hätte für mich gerne ausführlicher bzw. detaillierter sein dürfen. Der deutschen Ausgabe hätte eine bessere Übersetzung bzw. ein genaueres Lektorat stellenweise nicht geschadet.
- Glücklich wie Blei im Getreide, Clemens J. Setz. Fünfundvierzig Nacherzählungen auf 115 Seiten, die mich recht unterschiedlich begeistert haben. Schlussendlich aber dann doch nicht das Lieblingsbuch einer meiner Lieblingsautoren.
- Dunkelblum, Eva Menasse. Basierend auf dem Massaker von Rechnitz, spielt dieser historische Roman auf 522 Seiten in der fiktionalen Stadt Dunkelblum. Die Verdrängung der eigenen Vergangenheit wird geschickt mit dem Thema Grenzen (z.B. Öffnung des eisernen Vorhangs) verwoben. Nach “Quasikristalle” und “Tiere für Fortgeschrittene” ein weiteres wunderbares Buch von Eva Menasse. Nicht nur sprachlich hat mich das Buch begeistert, unbedingte Leseempfehlung.
- Opa, was macht ein Physiker?, Siegfried Hess. Das Buch wirkt mittlerweile leider ein wenig aus der Zeit gefallen. Auf den 250 Seiten werden vielfach Klischees bedient, und auch wenn viele interessante Themen angesprochen werden, werden diese mit sehr unterschiedlicher Tiefe bzw. erforderlichem Vorwissen erklärt. Das Zielpublikum ist mir auch nach Lektüre nicht wirklich klar – der streckenweise flapsige Stil trägt dazu leider auch nicht bei. Ein Wikipedia-Besuch anhand des Stichwortverzeichnisses erscheint mir zumindest heutzutage in Summe lohnenswerter.
- Gedankenspiele über die Faulheit, Daniela Strigl. Die schlanken Gedankenspiele-Bücher aus dem Droschl-Verlag laden zum Nachdenken ein – und der Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Essayistin Strigl gelingt dies auf diesen schlanken 54 Seiten aus dem Blickwinkel der Literaturwissenschaft.
- Gedankenspiele über die Gelassenheit, Ilse Helbich. Ein weiteres Buch aus der Gedankenspiele-Bücherreihe des Droschl-Verlag, diesmal von der Publizistin und Schriftstellerin Helbich über die Gelassenheit. Besonders die Anekdoten dieses 42 Seite schlanken Buches fand ich schön.
- Du wirst mich töten, Uli Brée. Diese 284 Seiten erzählen von einer absurden Beziehung zwischen einer Polizistin und einem Mörder. Es gibt immer wieder überraschende Wendungen, aber streckenweise war mir die Sprache leider zu brachial bzw. nicht mein Stil. Zum Buch gibt es übrigens den kostenlosen Hörbuch-Download, eine feine Sache.